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Interview: “Die Skalierung von digitalen Innovationen im Unternehmen ist nach unserer Erfahrung nicht möglich”

Wie lassen sich digitale Innovationen skalieren? Wie werden sie profitabel? Wenn Unternehmen interne Innovationseinheiten aufbauen, laufen diese zunächst oft nicht als Profitcenter. Die digitalen Lösungen beliefern oft erst nur das eigene Unternehmen. Wie schaffen Firmen den Sprung zur eigenständigen Innovationsplattform, die externe Kunden beliefert und Umsatz einfährt? Und welche strukturellen und kulturellen Hindernisse müssen sie überwinden? 

Darüber haben wir mit Susanne Hahn, Managing Partner der ehemaligen Daimler-Ideenschmiede 1886Ventures, mit Prof. Dr. Guido H. Baltes vom Institut für Strategische Innovation und Technologiemanagement der Hochschule Konstanz sowie mit Michael Buck, CEO von Convidera und Investor, gesprochen.

Frau Hahn, Sie leiteten ab 2016 Daimlers Lab 1886, das nun seit Anfang 2021 als eigenständiges Unternehmen agiert. Wie kam es zu diesem Schritt? Und kann man Innovation nicht einfach zukaufen?

Susanne Hahn: Wir haben bei Daimler viel darüber nachgedacht und sind im Zuge jeder Menge strategischer Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dass eine Kombination aus machen und kaufen besonders sinnvoll ist. Mit dem Make-Ansatz konnten wir schon einiges schaffen, worauf wir heute aufbauen. Das Resultat: Mehrere bereits ausgegründete Gesellschaften, die eigene Geschäfte werden können. Sowas kann ja schon im Konzern vorab gut geformt werden, wenn die Verbindung zu den Business Units steht, und durch ständige Iterationsschleifen und Investments. Anschließend aber die Wachstumsphase bzw. die Skalierung von digitalen Innovationen im Unternehmen hinzubekommen, ist nach unserer Erfahrung nicht möglich.

 

Vom Cost-Center zum Umsatz-Center. Ist dieses Konzept von 1886 Ventures auf viele andere Corporate Ventures übertragbar?

Guido H. Baltes: Um das zu beantworten, muss man die Rollen abgrenzen. Ein Center, das seine Leistungen am freien Markt anbietet, ist etwas anderes als ein internes Corporate Innovation Center. Center am freien Markt bieten Innovationsleistung als Service an. Diese Leistung muss sich gut messen lassen, damit die Kunden bereit sind zu zahlen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit folgt dann auch die Spezialisierung auf eine bestimmte Serviceart. Interne Innovationslabore aber haben neben dieser Innovationsleistung noch eine andere Aufgabe, nämlich zur Transformation der Kernorganisation beizutragen. Daher sollten Center im Unternehmen tunlichst zwei Dinge gleichzeitig tun: Auf der einen Seite sollten sie strategische Optionen kreieren - beispielsweise durch neue Geschäfte oder Technologien. Auf der anderen Seite sollten Center in Unternehmen die Fähigkeiten in der Kernorganisation stärken, genau diese Optionen auszuüben und beispielsweise solche neuen Geschäfte zu skalieren. Das hat natürlich seinen Preis: Die Transformationsaufgabe wird immer ein stückweit den Aufbau neuer Geschäfte belasten. Hier sind externe Center am freien Markt mitunter besser. Wenn sich ein Corporate Innovation Center aber in ähnlicher Weise ausschließlich auf das Kreieren und Skalieren von Start-ups konzentriert, dann löst sich dieser scheinbare Nachteil auf. Aber diese Corporate Innovation Center existieren nicht besonders lange, weil der strategische Mehrwert daraus für das Unternehmen zu gering ist.

Susanne Hahn: Dem stimme ich absolut zu. Es kommt immer darauf an, was ein Unternehmen mit einem Innovationslabor erreichen will. Unternehmenseigene Labore haben schon ihre Daseinsberechtigung, aber wenn es darum geht, interne inkrementelle Prozessoptimierungsinnovation zu betreiben und eine Unternehmerkultur einzuführen. Aber wenn man wirklich innovativ und wettbewerbsfähig neues Geschäft aufbauen will, dann ist das nicht die richtige Lösung.

 

Michael, du hast viele Innovationseinheiten mitaufgebaut. Was waren die größten Herausforderungen dabei, wenn du die sie mit der Aufbaureise von 1886 Ventures vergleichst?

Michael Buck: Ich finde es beeindruckend zu sehen, wie sich das Lab1886 freigestrampelt hat und welche Reise hinter ihm liegt. So etwas ist ein riesiger Kraftakt. Meistens hängen die Unternehmen einfach im Kerngeschäft fest oder sind damit beschäftigt, sich freizustrampeln. Großer Stolperstein hierbei ist aus meiner Sicht das Tagesgeschäft. Es erdrückt dich einfach. Wenn du erfolgreich bist, dann hast du sehr viel zu tun und meistens erdrückt dann das Tagesgeschäft, das den Umsatz bringt, die Innovation. Allerdings kann die Antwort dann nicht sein, eine Innovationseinheit aus dem Unternehmen zu nehmen, denn man profitiert ja auch von den internen Strukturen, Mitarbeitern und Netzwerken. Es gibt einfach nicht die goldene Lösung. Gut, wenn man es dann schafft, sich vom Tagegeschäft freizumachen und einen eigenen Weg zu gehen.

Guido H. Baltes: Wir schauen uns seit 2015 die gesamte Corporate-Entrepreneurship- Entwicklung in Deutschland an und analysieren, was funktioniert und was auch nicht. Unsere Kernerkenntnis: Es gibt keine silberne Kugel, kein Wundermittel. Was aber funktioniert ist eine Mischung aus unterschiedlichen unternehmerischen Innovationsaktivitäten Diese kann man stark vereinfacht danach differenzieren, wie sehr die Zielsetzung darin liegt, ein skalierendes Geschäft mit Umsatz und Ergebnis entstehen zu lassen oder eine Kulturveränderung im Unternehmen zu erzielen. Das kann man sich wie ein Kontinuum vorstellen – voller Fokus auf Geschäft lässt keinen Raum für Kulturveränderung und umgekehrt. Daher macht es Sinn, unterschiedliche Aktivitäten parallel zu verfolgen und zu kombinieren. Dazu kann man eine Ideenschmiede extern ausgliedern und gleichzeitig interne Innovationsprogramme durchführen. Das ist kein Widerspruch, sondern eine wirksame Ergänzung.

 

Was sollte man sonst noch rund um die Skalierung von Innovationseinheiten bedenken?

Susanne Hahn: Es ist einfach sehr schwer, den Erfolg von Innovationseinheiten zu messen. Ein Weg ist, das Ganze mit einem externen Partner zu validieren und so neutral einen Blick darauf zu werfen. Anschließend sollte man sich überlegen, wie man weitermacht und sich vor allem auf die guten Dinge konzentrieren. An diesem Punkt lohnt es sich dann für ein Unternehmen die Innovationseinheit loszulassen. Wenn diese später profitabel ist und das Unternehmen daran interessiert sein sollte, es zurückzukaufen, empfehle ich noch Minderheitsanteile zu halten und ein entsprechendes Rückkaufrecht vertraglich zu vereinbaren.

Michael Buck: Die Frage ist ja, baue ich Innovationen auf und nehme dafür meine Strukturen oder mache ich es nach dem Prinzip der grünen Wiese. Natürlich versucht jeder, sein “Baby” zu beschützen und zu bewachen. Jemand Außenstehendes würde dann immer warnen und sagen: Ihr werdet euch nur in zu vielen internen politischen Diskussion verfangen und am Ende kommt ein nicht zufriedenstellender Kompromiss dabei heraus. Da eine Mitte zu finden, ist also wirklich schwierig, weil ja auch am Ende irgendein interner Stakeholder sagen muss, in welche Richtung gegangen wird. Am besten hast du da einen Schiedsrichter, der zwischen beiden Sichtweisen moderiert. Leider gewinnt in der Realität viel zu oft die interne Seite. Da würde ich mir wirklich wünschen, dass da öfter der Mut vorhanden ist, einfach den Weg der grünen Wiese zu beschreiten.

Guido H. Baltes: Dazu gibt es ein paar spannende Erfahrungen beim High-Tech Gründerfond. Start-ups, an denen die Unternehmen noch Anteile haben, funktionieren als Investment für den Fond in der Regel nicht. Daher kann man wohl annehmen, dass Innovationslabore unabhängig sein müssen, damit sie beispielsweise für Investoren wirtschaftlich wertvoll sein können. Das gilt auch für das Skalieren von Corporate Startups: Es funktioniert in der Regel nicht besser, weil Personen aus dem Kerngeschäft hineinsteuern, Corporate Start-ups von der Perspektive des Kerngeschäftes abhängig sind und von dort bewertet werden. Besser Skalieren solche Start-ups eher dann, wenn man sich, wie Susanne Hahn schon empfahl, externe Investoren, also externe Venture-Capital-Geber sucht. Wenn die Leitung einer Innovationseinheit auf die Weise ein, zwei der neuen Geschäftsideen nach draußen an einen Investor verkauft hat, ist es dann wiederum sehr wahrscheinlich, dass danach die dritte Idee auch an eine interne Unternehmenseinheit verkauft werden kann. Warum? Weil die externen Investoren eine neutrale Referenz darstellen, die eigene Glaubwürdigkeit so gestärkt und auch ein stückweit die Unsicherheit bei den internen Partnern reduziert wird.

Susanne Hahn: Genauso war es bei uns. Wir haben uns ja auch auf die Suche nach externen Investoren gemacht. Das externe Erproben ist einfach das Wichtige. Bis dahin hatten wir eine tolle Zeit im Konzern und sehr viel Vertrauen. Irgendwann war dann einfach der Zeitpunkt da, dass wir genügend Zustimmung vom Vorstand zu unseren Vorschlägen bekommen haben, uns selbstständig zu machen. Uns wurde gewünscht, dass wir auch extern erfolgreich sind.

 

Wie schafft man es denn, später die selbstständig gewordene Innovationseinheit wieder in das Unternehmen zu integrieren?

Guido H. Baltes: Die Statistik zeigt, dass die Kulturen sich oft zu weit auseinanderentwickeln. Zudem möchte die Einheit dann natürlich einen Marktpreis, den das Unternehmen oft nicht mehr bereit ist zu bezahlen. Diese kulturelle Dissonanz und die unterschiedlichen Vorstellungen zum Kaufpreis führen dazu, dass wir im deutschsprachigen Raum kaum Fälle haben, wo diese Form der Reintegration tatsächlich so passiert ist.

Michael Buck: Die Mitarbeiter, die mit der Einheit mitgehen, wollen ja Freiheit und geben ihre Privilegien auch freiwillig ab. Und die, die danach eingestellt werden, die sind ja nicht da, um am Ende in ein Unternehmen integriert zu werden. Die Reintegration ist also ein Vorhaben, was man tatsächlich nicht empfehlen kann. Als wir vor einigen Jahren mit dem Aufbau von Inkubatoren begonnen haben, haben wir so eine Rückführung tatsächlich noch empfohlen, aber wir haben auch gelernt, dass es sich genauso entwickelt, wie Guido es beschrieben hat. Wenn man es am Ende wieder zusammenpressen will, dann passt es meistens nicht mehr.

 

Wichtige Frage zum Schluss: Wie bekomme ich überhaupt die richtigen Mitarbeiter für eine externe Innovationseinheit?

Susanne Hahn: Du musst versuchen ein Magnet zu sein, der die richtigen Mitarbeiter anzieht. Du brauchst zum Beispiel Personen, die andere Personen anziehen. Es sind auch Freiheitsgrade und sexy Produkte, die die Zukunft bedeuten wie eine Brennstoffzelle. Und die Tatsache, dass man sich wirklich auf das Geschäft konzentrieren kann ohne Politik, tausend Sitzungen und Co. Genau dann bekommst du die richtigen Leute. Der Aspekt “Marke” hilft natürlich und wer deine Shareholder, wer deine Investoren sind. Wichtig ist auch, dass du die Mitarbeiter am Erfolg beteiligst.

Das Interview führte Ulf Valentin im Rahmen der Reihe “Digitaler Unternehmermut | Das Gespräch” am 24. Juni 2021 zum Thema "Wenn interne Innovationseinheiten erwachsen werden: So gelingt Skalierung und externes Wachstum?". Die hier gestellten Fragen und Antworten stellen zusammengefasste Auszüge aus diesem Gespräch dar. 

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Über die Expert:innen

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Susanne Hahn: Als Managing Partner leitet sie seit Ende 2020 das Unternehmen 1886Ventures, die ehemalige Ideenschmiede des Daimler-Konzerns. Sie transformierte zuvor u.a. den Innovationsbereich der Daimler AG Business Innovation in das Lab1886. Bis Dezember 2020 hat sie Daimler über drei Jahre im Beirat der Volocopter GmbH vertreten, seit Januar 2021 ist sie im Beirat der KÜSTER Automotive GmbH.
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Prof. Dr. Guido H. Baltes: Er ist Direktor des IST Instituts für Strategische Innovation und Technologiemanagement an der Hochschule Konstanz, Gastprofessor an der UIBE Universität in Beijing und an der Rady School of Management der University of California in San Diego. Als Mentor unterstützt er u.a. das Start-up Bootcamp des Entrepreneurship Center der University of California Berkeley. Als (Mit-)Gründer hat Prof. Dr. Guido Baltes mehrere Start-ups erfolgreich aufgebaut. Er forscht zu Gestaltungsfragen rund um die Themen Corporate Entrepreneurship, Ambidextrie und strategische Innovation. 

 

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Michael Buck: Michael Buck ist CEO der Convidera GmbH, einer global agierenden Digitalberatung mit Sitz in Köln. Er ist zudem Investor verschiedener Unternehmen mit Fokus auf digitale Geschäftsprozesse. Unter www.digitalerunternehmermut.de veröffentlicht er eine eigene Podcast-Reihe zu Themen der Digitalen Transformation. Bis 2012 war Michael Buck bei Dell u.a. für das globale Online-Marketing-Business zuständig. Zuvor war er mehr als zehn Jahre lang europaweit auf verschiedenen Executive-Positionen für Hewlett-Packard tätig. 

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