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Nachfolge im Mittelstand: "Einige werden die digitale Transformation nicht überleben”

Gut die Hälfte aller Inhaber:innen von mittelständischen Unternehmen in Deutschland ist 55 Jahre oder älter. In den nächsten Jahren sind entsprechend viele Unternehmensnachfolgen zu erwarten. Wie sehr begreift die nächste Generation den Wechsel als Chance für die Digitalisierung? Und wie genau führt sie die einzelnen Abteilungen wie Marketing, Vertrieb, Produkt- sowie Innovationsentwicklung ins digitale Zeitalter? 

Darüber haben wir mit Prof. Dr. Birgit Felden, Gründerin der TMS Unternehmensberatung, Jungunternehmerin Hanna Grau, CEO des Fahrradanhänger-Herstellers Croozer, Prof. Dr. Tom Rüsen, geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen, und Robin de Bruijn, Head of Digital Solutions, gesprochen.

Wenn die nächste Generation die Geschäfte übernehmen soll, wird vieles neu definiert, neu geformt und neu gemacht. Nicht selten werden aus den Nachfolgenden dann Digitalisierer, denn sie sind häufig digital-affiner als ihre Vorgänger. Wie moderiert man einen Übergang zur Digitalisierung?

Prof. Dr. Birgit Felden: Die Konflikte sind vielfältig und man kann sie nicht wirklich über einen Kamm scheren. Es fängt an bei emotionalen Befindlichkeiten, die damit zusammenhängen, weil der oder die Abgebende das Gefühl hat, nicht mehr wichtig zu sein oder gebraucht zu werden. Da gilt es dann, Aufgaben zu finden, die die Person übernehmen kann, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens. Die Perspektive für das Danach muss häufig ein Stück weit begleitet werden. Ein anderer Aspekt ist, dass es Unternehmer:innen gibt, die immer noch meinen, es sollte alles so weiterlaufen wie bisher und es dürfte sich nichts ändern. Um dabei die Änderungsnotwendigkeit zu verdeutlichen, hilft es, den betrieblichen Blickwinkel einzunehmen: Was braucht das Unternehmen in Zukunft und wie sieht das zukünftige Geschäftsmodell aus?

Frau Grau, ohne die Mitarbeiter:innen geht es aber auch nicht. Wie haben diese bei Croozer auf die Veränderungen reagiert?

Hanna Grau: Croozer ist mittlerweile ein junges Team, viele Mitarbeiter:innen sind in meinem Alter. Für sie war die Digitalisierung ein „Oh-ja-Endlich“-Gefühl, weil es bei uns endlich modern wird und wir mit Laptops arbeiten, das fanden sie wirklich gut. Genauso haben wir aber auch Mitarbeiter:innen, die sich bis heute sehr schwer tun, beispielsweise mit dem Chat-Tool Teams, denn darüber läuft viel und schnelle Kommunikation. Was ich dabei gelernt habe, ist, dass dabei Schulungen weiterhelfen. Wir machen sehr viele Schulungen und erklären genau, wofür welches Tool gut ist, wie wir es nutzen wollen und wie man mit dem Informationsfluss am besten umgehen kann. Am Anfang haben wir dazu viele Workshops gemacht und es ist wichtig, die offene Unternehmenskultur immer zu signalisieren, dass wir immer ein offenes Ohr für Pain Points haben. Leider kam es aber auch zu Trennungen, was damit zusammenhängt, dass sich Personen in der alten Unternehmensstruktur wohler gefühlt haben.

Wie wichtig ist denn der Veränderungswille von Geschäftsführung und Mitarbeitern beim Generationswechsel?

Prof. Dr. Birgit Felden: Nachfolge bedeutet, dass Alt und Jung an einem Strang ziehen: Eine Person bringt Erfahrung mit, die andere Person neue Ideen. Gerade die Familienunternehmen, die schon sehr lange dabei sind, sind deshalb so erfolgreich, weil sie es geschafft haben, sich durch einen Generationswechsel oder äußere Einflüsse neu zu erfinden. Die wenigsten machen heute noch das, was sie vor acht Generationen gemacht haben. Das ist einer der großen Erfolgsfaktoren langjähriger Familienunternehmen, dass die Kontinuität nicht Stillstand, sondern ständigen Wandel bedeutet.

Sind Familienunternehmen per se digital innovativ oder gerade eher nicht?

Prof. Dr. Tom Rüsen: Es gibt nicht den Typus Familienunternehmen. Es gibt langlebige Familienunternehmen, die vielleicht in der siebten, achten Generation aktiv sind und ein Produkt oder einen bestimmten Marktzugang haben. Damit haben sie enorme Gewinne gemacht, weshalb sie in der Vergangenheit nicht so affin waren, sich zu digitalisieren. Das ist bei einigen Familienunternehmen doch sehr deutlich, die eine gute Marktposition haben. In Deutschland haben wir tatsächlich deswegen eine gewisse Menge an Nachholbedarf. Geschätzt sind etwa 30 Prozent der Familienunternehmen Digital Champions, 20 bis 30 Prozent haben ein Mittelmaß an Digitalisierung und der Rest ist sehr schlecht. Davon werden einige die digitale Transformation meiner Einschätzung nach nicht überleben. Bei allem Schlechten, das uns Corona gebracht hat, so ist das ein großer Vorteil, dass der Zwangsdigitalisierungsprozess stattgefunden hat. Diese Zwangsdigitalisierung funktioniert erstaunlich gut, denn wer den Mut hatte, sie umzusetzen, wurde dadurch belohnt.

Wie haben Sie bei Croozer den Erfolg der Digitalisierung gemessen, wie wurden Sie für Ihren Mut belohnt?

Hanna Grau: Die interne Digitalisierung, die neue Art der Kommunikation, ist natürlich schwierig zu messen, daher machen wir regelmäßig Umfragen. Dabei kam heraus, dass die Mitarbeitenden gespürt haben, wie die Effizienz gesteigert wurde, neben all den Zweifeln und Ängsten, die es am Anfang gab. In der Logistik und Produktentwicklung messen wir den Erfolg der Digitalisierung anhand von Zahlen, was sich im Vergleich verändert und verbessert hat, wie neue Abläufe und Zyklen funktionieren.

Welche innere Einstellung können Sie Familienunternehmen empfehlen, denen jetzt in Zeiten der Digitalisierung ein Generationswechsel bevorsteht?

Prof. Dr. Tom Rüsen: Startup-Feeling der nächsten Generation mit neuen Ideen und Ansätzen mitreinbringen ins Familienunternehmen, das schaffen die langlebigen Familienunternehmen. Sie schaffen es, eine Krise als Chance zu nutzen. Diejenigen, die sich an einem Produkt oder einer Dienstleistung festklammern und ein Ein-Markt-Unternehmen, sind extrem bedroht. Wer jetzt schon erkennt, dass es nicht mehr weiterläuft, ist es sinnvoll, das Unternehmen an einen Investor zu verkaufen und mit diesem Verkaufserlös das Unternehmen weiterzuentwickeln. Das lernen wir auch bei langlebigen Familienunternehmen, die ihr Geschäftsmodell geändert und zu einem guten Zeitpunkt verkauft haben und in eine andere Industrie oder Technologie umgestiegen sind.

Robin de Bruijn: Die Nachfolge kann Fluch und Segen zugleich sein. Jeder Unternehmer, jede Unternehmerin muss sich heute darüber Gedanken machen, wie die Zukunft aussieht und jetzt schon an Ideen und Lösungen dafür arbeiten. Man sollte aber nicht das gesamte Geld auf einmal investieren, sondern in kleinen Schritten die Innovation Discovery durchlaufen. Also erst die Marktchancen abschätzen, dann das Innovationsrisiko minimieren, schließlich das Ertragspotential für die Zukunft schärfen und dann alles zusammenbringen. Daraus kann man die Stärke fürs Kerngeschäft ziehen.

Welche Nachfolgechancen gibt es also für die digitale Transformation?

Hanna Grau: Digitalisierung sollte immer mit einem Nutzen verbunden sein, sodass das jeder und jede erkennen kann und es Sinn ergibt. Dabei gibt es nicht die eine Digitalisierungsmaßnahme, sondern es ist abhängig je Unternehmen, was digitalisiert werden könnte und welche Pain Points dadurch optimiert werden.

Prof. Dr. Birgit Felden: Es gibt nicht die Digitalisierung und es gibt nicht das Familienunternehmen, sondern es ist Arbeit, zunächst einmal herauszufinden, was für das eigene Unternehmen und die Branche notwendig ist, damit es in Zukunft erfolgreich bleibt: Reicht es aus, nur in einigen Prozessen etwas digitaler zu werden oder müssen mehr Maßnahmen ergriffen werden – und wollen wir überhaupt noch einen Schritt weitergehen? Das ist ein sehr individueller und sehr unterschiedlicher Prozess.

Prof. Dr. Tom Rüsen: Sorgen Sie für eine digitale Openness und Readiness, damit man sich dieser neuen Möglichkeit stellt und sorgen Sie dafür, dass zwischen Senior und Junior Generation ein guter Kontakt besteht, ein guter Austausch.

Robin de Bruijn: Digitale Transformation fängt bei der Führung an: Wir brauchen dabei digitale Kompetenz. Anders funktioniert das in keinem Unternehmen. Außerdem benötigen wir eine Organisation, die für digitale Transformation aufgestellt ist. Das ist eine Herausforderung, aber die Fähigkeit, das zu steuern und zu messen ist essentiell. Und der letzte Punkt ist die Innovationspraxis, sprich dass man einfach mal anfängt und macht. Das heißt ja nicht, dass direkt alles im gesamten Familienunternehmen sofort digital sein muss. Allerdings gibt es sehr viele Potenziale in der Zukunft, daher sollte man einfach mal machen.

Das Interview führte Ulf Valentin im Rahmen der Reihe “Digitaler Unternehmermut | Das Gespräch” am 18. Mai 2021 zum Thema "Nachfolge im Mittelstand: Eine große Chance für die digitale Transformation?". Die hier gestellten Fragen und Antworten stellen zusammengefasste Auszüge aus diesem Gespräch dar. 

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Über die Expert:innen

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Prof. Dr. Birgit Felden: Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich die Expertin mit Unternehmerfamilien und dem Thema Generationswechsel. Sie gründete die TMS Unternehmensberatung und ist Direktorin des Instituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familien­unternehmen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.
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Prof. Dr. Tom Rüsen: Als geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen und geschäftsführender Vorstand der WIFU-Stiftung beschäftigt er sich insbesondere mit Konflikt- und Krisendynamiken, strukturellen Risiken von Familienunternehmen sowie Familienstrategien und deren generationsübergreifende Evolution.
Hanna Grau

 

Hanna Grau: Die Jungunternehmerin übernahm 2021 die Geschäfte ihres Vaters, der vor 27 Jahren das Unternehmen Croozer, einen Hersteller von Fahrradanhängern, gründete. Die 30-jährige studierte Ärztin entschied sich nach ihrer Approbation in die Firma ihres Vaters einzutreten und war dort bis zum Generationswechsel zunächst vier Jahre als Projektmanagerin tätig.
Robin de Bruijn

 

Robin de Bruijn: Der Head of Digital Solutions steuert seit rund sechs Jahren interdisziplinäre Teams, die neue, vielversprechende digitale Innovationen für Unternehmen entwickeln. Zuvor war er für die Implementierung einer E-Learning-Plattform verantwortlich und arbeitete als Filmproduzent bei Bavaria Film. Er studierte u.a. an der New York University Stern School of Business das Fach "Innovation".

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