Digitale Innovationseinheiten aufzubauen und erfolgreiche digitale Produkte zu entwickeln sind anspruchsvolle Aufgaben. Immerhin scheitern laut Studien 95 Prozent der von Digitaleinheiten entwickelten Innovationsideen. Von den übrigen fünf Prozent, die es bis zur Markeinführung schaffen, wird nur jede zweite zum Markterfolg. Wie gelingt es also von Anfang an erfolgreich zu sein und wie findet man den richtigen Startpunkt? Dazu sprechen wir mit Britta von Selchow, Head of Digital Solutions beim Maschinenbauer Fette Compacting, Alexander Hauswald, CEO der Digitaleinheit der Hörmann-Gruppe Hörmann Digital und Dr. Jan Pelser, langjähriger Leiter von externen Innovationseinheiten bei Convidera.
Herr Hauswald, Sie stellen sich seit Anfang des Jahres der mutigen Aufgabe, 27 unterschiedliche Unternehmen der Hörmann-Gruppe gemeinsam in die Digitalisierung zu führen. Wie gehen Sie dabei vor und wie bringen Sie alle auf einen Nenner?
Alexander Hauswald: Die Hörmann-Gruppe ist ein Familienunternehmen mit einer immensen Bandbreite. Im Jahr 2018 wurde durch Herrn Dr. Michael Radke, CEO der Hörmann Gruppe, eine Initiative gestartet, um das Thema Digitalisierung greifbar zu machen - spätestens 2019 war allen klar, dass dringend Handlungsbedarf in Sachen Digitalisierung bestand. Dies mündete als erstes in den sogenannten Engineering Days. Auf der Veranstaltung trafen sich alle leitenden Ingenieure der verschiedenen Einheiten und erarbeiteten in Design-Thinking-Workshops Digitalisierungsthemen, die die Gruppe in die Zukunft führen würden. Daraus entwickelte sich die Idee der Hörmann Digital: Eine Einheit parallel zum Tagesgeschäft, die die Themen Innovationshub, Software-Entwicklung und digitales Enabling in der Gruppe vorantreibt. Ich schaue mir nun seit Anfang des Jahres genau an, welche Sparten wir mit digitalen Lösungen unterstützen können. Dabei legen wir fest, in welchen Bereichen wir den meisten Mehrwert generieren können. So priorisieren wir. Dann entscheiden wir, wo wir jeweils tätig werden.
Und wie schätzen Sie den Erfolg Ihrer Einheit ein – werden Sie jemals am freien Markt Innovationen platzieren können?
Alexander Hauswald: Wir haben einen internen Marktplatz von 27 Gesellschaften, in dessen Rahmen wir neue Produkte und Geschäftsmodelle aufsetzen und validieren können. Die Hörmann Digital ist dabei projektfinanziert durch die anderen Einheiten und kann mit internen Fördermitteln die Transformation unterstützen und beschleunigen. Konzepte, die es wirklich wert sind, entwickeln wir dann weiter. Da werden am Ende sicher auch viele gute Dinge dabei sein, mit denen wir irgendwann auf den freien Markt gehen können. Es ist in diesem Zusammenhang natürlich sehr angenehm, dass wir für die nächsten Jahre nicht als Profit-Center ausgelegt sind. Aber irgendwann werden auch wir den Druck haben, nach außen zu liefern.
Frau von Selchow, wie sind Sie denn bei Fette Compacting in das Thema Digitalisierung gestartet? Wie haben Sie den Startpunkt gefunden?
Britta von Selchow: Wir haben uns entschieden, ganz fokussiert zu starten, indem wir unsere Kunden befragt haben. Wir wollten wissen, welche Situationen wir in ihrem Arbeitsalltag an unseren Maschinen noch weiter verbessern können. Über zahlreiche Interviews haben wir sogenannte „Pain Points“ erhalten und gezielt daraufhin Ideen entwickelt – ähnlich einem Design-Thinking-Prozess. Dann haben wir in unserem Team aber auch in unserem Unternehmen etwas ganz Neues ausprobiert: Wir haben diese ersten Ideen zügig mit einem schwarzen Edding auf Papier skizziert und versucht, sie zu beschreiben. Dann haben wir dazu erneut Feedback von Kunden eingeholt. Das war für viele Kollegen, die teilweise jahrelang im Maschinenbau unterwegs sind, eine spannende neue Erfahrung. Auch die Kunden fanden es gut, schließlich befassten wir uns mit ihren echten, realen Problemen. Das war unser Startpunkt. Seitdem arbeiten wir ganz iterativ immer wieder mit Kunden zusammen und realisieren am Ende die vielversprechendsten Ideen.
Hatten Sie die Kompetenzen, um das zu tun, schon im Hause?
Britta von Selchow: Ja und nein, und ich vermute, das wird allen Unternehmen so gehen, wenn sie beginnen, eine digitale Einheit aufzubauen. Sie brauchen eine Mischung aus Leuten, die das Produkt, den Markt und die Kunden kennen. Und Sie brauchen ein Team, das stark im Design Thinking ist und sich da auch bei etwaigen internen Widerständen nicht beirren lässt. Natürlich benötigen Sie auch erfahrene UX-Designer und Developer, deren Recruiting sich grundsätzlich herausfordernd gestaltet. Um hier schneller voran zu kommen, haben wir einen lokalen Software-Entwicklungsdienstleister vorübergehend mit ins Team geholt. Das würde ich auch anderen so empfehlen. Diese Spezialisten sind zwar kostenintensiv, aber auch inhaltlich richtig gut. Und gerade am Anfang muss man vielleicht nicht jeden Fehler selber machen.
Selbst machen oder einkaufen – was ist besser, Jan?
Dr. Jan Pelser: Ob man Innovationseinheiten selbst aufbaut oder einkauft hängt meiner Erfahrung davon ab, wie schnell du sein will. Sobald du ein Potenzial identifiziert hast, solltest du auf jeden Fall einen konkreten Plan entwickeln, auf den du dann hinarbeitest. Dann solltest du versuchen, einfach nur noch schnell zu sein. Dabei macht es Sinn, am Anfang Personen und damit Wissen hinzuzukaufen, so dass du einfach schon mal anfangen und validieren kannst. Frage dich: Funktioniert das überhaupt? Ist da was? Sehe ich erste Resultate? Ich rate hier zu einem Best-of-both-Worlds-Prinzip: Einerseits schnell Geschwindigkeit aufnehmen und schon etwas Grundlegendes lernen, andererseits sich aber auch etwas nachhaltig für sich selbst aufbauen.
Britta von Selchow: Dem würde ich zustimmen. Für jede digitale Idee kann man bewusst entscheiden, ob man etwas am Markt einkauft, mit einem Start-Up kooperiert oder es selbst macht. Je nachdem, ob man einen Mehrwert bieten kann, wenn man es selbst macht und ob genug Zeit ist, es selbst zu entwickeln. Gerade anfänglich im Ideen- und Prototypen-Status kann man einkaufen und nach Kundengesprächen entscheiden, ob man es selbst passgenauer entwickeln kann. Jede Firma muss da für sich den richtigen Weg finden, um Kundennutzen zu erzeugen und gleichzeitig die Organisation mitnehmen zu können. Das ist oft ein schmaler Grat.
Herr Hauswald, wie stellen Sie sicher, dass ein Geschäftsmodell zum Erfolg führt? Was halten Sie von der Befragung von Kunden?
Alexander Hauswald: Ich würde ganz klar empfehlen, den Kunden zu fragen, denn so schön sie Ihr Produkt entwickeln, am Ende muss es der Kunde kaufen. Und wenn sie da irgendwie daneben liegen, weil sie nicht deren Probleme getroffen haben, wird es schwer. Denn Sie müssen das Produkt ja auch noch verkaufen. Und der Vertrieb von digitalen Produkten ist an sich schon eine eigene Herausforderung für sich. Da muss das Produkt schon ziehen.
Welche Fehler sollte ich und kann ich am Anfang einer Digitaleinheit vermeiden? Was können Sie da anderen mitgeben?
Alexander Hauswald: Ein häufiger Fehler ist zum Beispiel, seine internen Kunden nicht genügend auf die Reise mitzunehmen und vor vollendete Tatsachen zu setzen. Doch den größten Fehler, den man begehen kann, ist, einfach nicht anzufangen. Es ist ganz normal, dass man immer wieder kleine Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt. Probieren Sie trotzdem Sachen aus und validieren Sie immer wieder neu! Am besten auf eine agile Weise. Schauen Sie alle zwei Wochen, wo Sie stehen und teilen Sie das auch der Geschäftsführung mit. Auch ganz kurze Feedback-Zyklen sind enorm wichtig. Wer erfolgreich sein will, der sollte möglichst schnell prüfen, ob das, was er tut, sinnvoll ist und in die richtige Richtung führt. Und wenn dem nicht so ist, passen Sie sich an und halten Sie nicht stur an Ihrem Plan fest!
Britta von Selchow: Ich finde, wenn man richtig gut scheitern will, so dass man etwas daraus lernen kann, muss das Scheitern auch richtig gut geplant sein! Das bedeutet: Überlegen Sie sich gut, wie Sie Testen. Welche kritischen Thesen müssen Sie validieren und wie können Sie das wirklich gut bewerten, um für die nächste Phase zu entscheiden, ob etwas gemacht wird oder nicht. Wenn man das Scheitern als Methode integriert, fühlt sich das gar nicht mehr so an. Man sieht es vielmehr als Weg, um zu den wirklich spannenden Fragestellungen zu gelangen, die so vorher noch keiner gestellt hat.
Wie schafft man es denn, die Kernorganisation davon zu überzeugen, dass Scheitern okay ist? Wie geht das?
Britta von Selchow: Das ist und bleibt eine Herausforderung, der man sich als bereichsübergreifendes Team immer wieder neu stellen muss. Ich glaube, es wäre noch schwerer, wenn meine Unit nicht direkt im globalen Headquarter sitzen würde. Dass ich meine Kollegen in Schwarzenbek in der Kantine treffe, machte zumindest vor Corona vieles einfacher. Und ganz ehrlich: Eine Menge Konflikte landen auf meinem Tisch – und dafür bin ich total dankbar, weil das genau die Fragen sind, die sich eine Organisation stellt und auf die man zusammen Antworten finden muss. Parallel versuche ich, das, was wir tun, in die Organisation zu übersetzen und Schnittmengen anzubieten. So oft wie möglich arbeiten wir in bestehende Prozesse hinein, dafür haben wir dann in anderen Bereichen viel Freiraum für Agilität.
Wie schaffe ich es denn, das Management zu überzeugen, dass nicht der starre Businessplan in einem Jahr schon genau wieder den Umsatz, den ich investiert habe, zurückliefert?
Dr. Jan Pelser: Da kommt natürlich ganz viel zusammen und Realismus ist angebracht. Eine Portfolio-Denkweise hilft hier. Das Management sollte zum einen Investitionen tätigen, die relativ sicheren Output generieren und nah am Kerngeschäft sind. Parallel sollte es aber auch auf risikoreichere Felder setzen, die erst in zwei bis fünf Jahren Gewinn abwerfen.
Auf welches Ökosystem, also Partnernetzwerk setzen Sie bei Ihrer Arbeit?
Britta von Selchow: Man braucht „digitale Muskeln“, um als Unternehmen voranzukommen. Die baut man nicht allein auf. Je schneller man werden möchte, umso mehr Partner benötigt man. Das sind für uns Dienstleister aus dem Entwicklerbereich, Start-ups mit für uns interessanten Produkten und Partnerverbünde mit Firmen ähnlicher Größenordnung und ähnlichem Kundenkreis wie z.B. in dem Netzwerk Maschinenraum.
Zum Abschluss: Was raten Sie kurz und knapp Unternehmen, die noch keine digitale Innovationseinheit besitzen, aber vorhaben, eine zu gründen?
Dr. Jan Pelser: In meinen Augen ist es ist besonders wichtig, zunächst die Intention zu überprüfen. Was möchte ich überhaupt machen? Was möchte ich damit schaffen? Fokus ist absolut essentiell und zu wissen, an welcher Stelle vielversprechende Potentiale liegen. Und dann rate ich, einfach schnell loszulegen.
Alexander Hauswald: Mein Rat wäre wirklich einfach anzufangen. Es gibt so viele Tools und Möglichkeiten. Nichts hält einen eigentlich davon ab, anzufangen.
Britta von Selchow: Suchen Sie Ihr A-Team zusammen und lassen Sie es Ihre Kunden befragen. Lernen Sie Design Thinking und lesen das Buch von Eric Ries “The Lean Startup”. Und dann einfach starten.
Das Interview führte Ulf Valentin im Rahmen der Reihe “Digitaler Unternehmermut | Das Gespräch” am 21. April 2021 zum Thema "Patentrezept gesucht: Welche Faktoren führen Innovationseinheiten zum Erfolg?". Die hier gestellten Fragen und Antworten stellen zusammengefasste Auszüge aus diesem Gespräch dar.
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Über die Experten |
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Britta von Selchow: Als Head of Digital Solutions leitet sie seit 2019 die Entwicklung digitaler Lösungen bei Fette Compacting, dem weltweit führenden Anbieter von integrierten Lösungen für den gesamten Prozess der industriellen Tabletten- und Kapselherstellung. |
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Alexander Hauswald: Als Geschäftsführer leitet er seit Januar 2021 Hörmann Digital, die Digitaleinheit der Hörmann-Gruppe, die unter anderem Zubehörteile für Nutzfahrzeuge, Bau- und Landmaschinen herstellt und ihren Hauptsitz in Kirchseeon hat. |
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Dr. Jan Pelser: Als Head of Digital Solutions bei Convidera in Köln begleitet er digitale Innovationseinheiten beim Aufbau und bei der Umsetzung. Zudem unterstützt er diese bei der erfolgreichen Positionierung digitaler Produkte im Markt. |